Der Sozialethiker Professor Traugott Jähnichen von der Ruhr-Universität Bochum hielt ein Impulsreferat auf der Ökumenischen Ruhrgebietskonferenz. Foto: Nicole Cronauge / Bistum Essen
So verwiesen die Kirchenvertreter auf die nach wie vor überdurchschnittlich hohe Langzeitarbeitslosigkeit und die erschreckende Kinderarmut im Ruhrgebiet, die trotz der Erfolge beim Strukturwandelund der aktuell guten wirtschaftlichen Lage bislang nicht gelöst seien.
Zum ersten Mal hatten sich die Ruhrsuperintendenten der evangelischen Landeskirchen Rheinland und Westfalen mit den Stadt- und Kreisdechanten des katholischen Bistums Essen getroffen. Neben Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck waren auch die westfälische Präses Annette Kurschus und ihr rheinischer Amtskollege Manfred Rekowski bei dem Treffen in der Mülheimer Akademie "Die Wolfsburg" mit dabei.
"Im Jahr 2018 geht etwas zu Ende, das uns während des gesamten Strukturwandels begleitet hat", verwies Overbeck auf das Ende der Steinkohlenförderung im Dezember. "Als das Bistum Essen vor 60 Jahren gegründet wurde, wurden die ersten20 Zechen geschlossen", erinnerte der Bischof.
Präses Rekowski nannte das erste Treffen der Superintendenten und Dechanten im Ruhrgebiet "eine Uraufführung, die auch vor 60 Jahren schon ihre Berechtigung gehabt hätte". Die ökumenische Initiative käme womöglich spät, aber mitnichten zu spät, so der Präses.
Das Ende des Steinkohlenbergbaus werden die beiden christlichen Kirchen unter anderem mit einem Gottesdienst im Essener Dom begleiten. Als Leiter des ökumenischen Vorbereitungsteams informierte "Wolfsburg"-Direktor Michael Schlagheck die Geistlichen über die Feier, die am 20. Dezember geplant ist, dem Vorabend des offiziellen Bergbau-Endes. Dank einer Live-Übertragung des WDR Fernsehens könne der Gottesdienst auch in Kirchengemeinden gezeigt werden, die einen besondere Beziehung zum Bergbau hätten, diskutierten die Geistlichen.
Die besonderen sozialen Dimensionen des Ruhrgebiets und die daraus folgenden Herausforderungen für die Kirchen machte der Bochumer Theologe Traugott Jähnichen deutlich. International betrachtet sei das Ruhrgebiet ein Beispiel für gelungenen Strukturwandel – aber eben auch für die Probleme, die ein solcher Wandel mit sich bringe, so Jähnichen. Vor allem der nach wie vor bestehende Zusammenhang zwischen Wohnort und Bildungserfolg müsse entkoppelt werden, forderte der evangelische Theologie-Professor.
Overbeck beklagte eine "wachsende Spreizung zwischen arm und reich. Bei uns leben sowohl die reichsten Menschen des Landes als auch überdurchschnittlich viele Hartz IV-Empfänger." Dadurch werde "die Trennung zwischen den Stadtteilen immer schärfer".
Jähnichen verwies auf die Diskussion um die Zukunft des Solidaritätszuschlagsund betonte: "Eine nationale Solidarität ist weiter nötig, um den Herausforderungenim Ruhrgebiet zu begegnen."
Beim Stichwort Wandel diskutierten die Geistlichen auch den "Struktwandel" in den Kirchen, hin zu kleineren Organisationen mit weniger Standorten und Personal als früher, aber einer deutlich verstärkten ökumenischen Zusammenarbeit.
Jähnichen warnte davor, dass sich katholische und evangelische Gemeinden – wenn es keine Absprachen gibt – womöglich beide aus den gleichen Stadtteilen zurückziehen.
Wenn dies zudem besonders benachteiligte Quartiere wären "ist das das falsche Signal". Rekowski verwies auf die Pfarreientwicklungsprozesse in den katholischen Gemeinden des Ruhrbistums, die immer auch eine ökumenische Perspektive eingenommen hätten. "Es bedarf dieser Perspektive: Wo können wir gemeinsam eine Kita betreiben oder eine Kirche nutzen." Seit gut einem Jahr ermutige der ökumenische Aufruf "Gemeinsam Kirche sein“ zu diesen Aufbrüchen. "Wir stehen da erst am Anfang, aber das muss zum Normalfall werden", warb Rekowski. (tr)